Abschlussbericht · Sebastian Endres

Abschlussbericht

February 22, 2023 • 6 min to read • 🇩🇪 • Namibia
Content

Am Ende eines weltwaerts-Freiwilligendienstes ist es für alle an der Zeit, zu reflektieren und einen Abschlussbericht zu verfassen. Ich fand es gar nicht so leicht, ihn zu formulieren und bin mit dem Inhalt auch gar nicht so zufrieden. Aber ich möchte ihn trotzdem mit euch teilen:


Zurückblickend war die letzte Zeit für mich auf jeden Fall sehr besonders. Vor nicht einmal 11 Monaten kam ich als kompletter Neuling ins Land und versuchte, alles zu erforschen und zu verstehen. Dann lebte ich mich langsam ein. Ich war zugegebenermaßen anfangs etwas darüber enttäuscht, dass Namibia zumindest in der Stadt relativ ähnlich funktioniert, wie man es in Europa gewohnt ist, mit Supermärkten etc. Ich fing an, einen Alltag zu haben. Langsam realisierte ich, dass ich nun quasi Bürger dieses Landes bin, welches fast auf der anderen Seite der Welt liegt. Das Gefühl hab ich noch als sehr aufregend in Erinnerung. Mit der Zeit stellte ich fest, was eigentlich alles gar nicht so gut läuft, bei meiner Einsatzstelle und im Land. Ich lernte viele Orte und Facetten des Landes kennen. Die Zeit zum Zwischenseminar hat sich etwas gezogen, weil ich zum einen von dem Anspruch meiner Einsatzstelle an mich Überfordert war, selbst Projekte in die Hand zu nehmen und umzusetzen, und gleichzeitig aber aufgrund der begrenzten Möglichkeiten auch gelangweilt und resigniert war. Beim Zwischenseminar fiel dann die Entscheidung, den Ort und die Stelle zu wechseln. Seit dem ging alles ganz schnell. Und ganz plötzlich befinde ich mich schon in der Endphase. Und nun ist es an der Zeit, das (fast) Jahr zu reflektieren.

Evaluation

Das Bicycling Empowerment Network Namibia (BENN) verfolgt an sich eine tolle Idee, second-hand Fahrräder zu importieren und damit durch verschiedene Projekte das Leben der Menschen zu verbessern. Das hat mich von Anfang an begeistert, da ich mich auch in Deutschland viel mit der Verkehrswende beschäftigt habe. Von dem her schien das Projekt gut geeignet gewesen zu sein. Allerdings läuft das Projekt schon sehr lange. Es befindet sich meiner Einschätzung nach in der Endphase und die personellen und finanziellen Kapazitäten sind sehr begrenzt. Sowohl mein Koordinator als auch ich haben schnell festgestellt, dass es sich als Einsatzstelle mittlerweile nicht mehr wirklich eignet. Ich wollte trotzdem nicht aufgeben, bin aber dann doch froh, letztendlich noch gewechselt zu haben. Gleichzeitig bin ich aber auch froh, diese Erfahrungen gemacht zu haben.

EduVentures ist ein richtig cooles und erfolgreiches Projekt, obwohl es auch schon sehr viele Jahre läuft. Personell und finanziell ist es sehr gut aufgestellt. Allerdings ist es sehr abhängig von deutschen Geldern. Für meine letzten Monate war es genau die richtige Einsatzstelle und meine Fähigkeiten wurden gut eingesetzt und ich hatte das Gefühl, wichtige Aufgaben zu bekommen.

Meine Entsendeorganisation solivol fand ich persönlich super, vor allem auch im Vergleich zu anderen weltwaerts-Organisationen, die ich in der letzten Zeit kennen gelernt habe. Ich schätze die viele Erfahrung der Mitarbeitenden, dass sie meiner Meinung nach das richtige Mindset für so etwas haben, dass wir viele Freiheiten hatten, sehr individuell betreut wurden und dass die Finanzierung sehr fair abläuft. Es lief zwar nicht alles rund (es gab Verzögerungen beim Visa-Prozess; die Wahl der Einsatzstellen war vielleicht nicht perfekt, da es viele Wechsel bei uns gab, aber das lag sicher auch an der veränderten Situation nach Corona; wir mussten uns selbst Wohnung und Mentor*innen suchen), aber mich hat das nicht groß gestört. Für jüngere Teilnehmende könnte ich mir allerdings vorstellen, dass es etwas schwierig ist, wenn man manchmal ins kalte Wasser geworfen wird.

Was gut geklappt hat

Vor der Ausreise hatte ich mir gewünscht, ein diverseres Umfeld um mich herum zu haben als in Deutschland. Zwar war mein Umfeld nicht so groß, wie erhofft, aber es war divers.

Ich hatte zuvor gar keine Vorstellung von diesem Land. Jetzt würde ich sagen, dass ich eigentlich ein ganz gutes Bild von den verschiedenen Kulturen und Tribes habe, den Lebensweisen, den Parallelgesellschaften, den verschieden begrenzten Möglichkeiten und auch von der vielseitigen Natur und Landschaft und den unterschiedlichen Ecken des Landes. Mein Ziel war es zwar zuvor nicht, möglichst viel herumzureisen. Allerdings bin ich im Nachhinein doch ganz froh, dass ich viele Möglichkeiten dazu hatte, und ich fand das auch eine wichtige Erfahrung.

Was nicht so gut geklappt hat

Eins meiner Ziele war es, Freundschaften mit Namibier*innen zu schließen. Das hat leider nicht so gut geklappt. Während meiner Zeit in Walvis Bay fand ich das auch schwierig, weil ich lange Zeit einsam war. Das war für mich nicht so einfach, aber hat mir jetzt auch nicht geschadet. Und nach dem Umzug nach Windhoek hab ich die Gemeinschaft mit meinen Mitfreiwilligen sehr genossen und bin sehr froh darüber, dass wir zu einer Freundesgruppe zusammengewachsen sind, die hoffentlich auch nach unserem Auslandsaufenthalt bestehen bleibt.

Was mir ganz gut gefallen hat

Ich fand es spannend, dass wir als Freiwillige, im Unterschied zu beispielsweise Touristen, die Möglichkeit hatten, in ganz verschiedene Bereiche der namibischen Gesellschaft reinschnuppern zu können. Wir sind eigentlich immer aus dem Raster gefallen, was manchmal zu lustigen und interessanten Irritationen geführt hat.

Was ich auch gut fand, war, dass die Entsendeorganisation meiner Meinung nach sehr viel Wert auf individuelle Erfahrungen und persönliche Entwicklung gelegt hat. Wir hatten viele Freiräume, was v. a. für mich, als jemand der schon etwas älter ist, super war.

Worüber ich im Nachhinein froh bin

Ich war lange Zeit froh, nicht in der Hauptstadt zu sein und fand es am Anfang auch spannend, dass ich auf mich allein gestellt war. Aber später war ich auch sehr froh, doch nochmal die Einsatzstelle zu wechseln und noch einen anderen Teil Namibias genauer kennen zu lernen. So hatte ich schlussendlich ganz vielseitige Aufgaben und mehr verschiedene Menschen und Orte kennengelernt, als wenn ich die ganze Zeit nur an einem Ort gewesen wäre.

Sorgen, die ich zuvor hatte, die sich aber nicht bewahrheitet haben

Ich hatte Angst davor, dass es im Endeffekt eine für mich sinnlose Zeit wird und ich dem Freiwilligendienst nichts abgewinnen kann, weil ich vielleicht schon zu alt für das weltwaerts-Programm bin. Das war definitiv nicht der Fall. Ich hatte auch befürchtet, dass ich meine Fähigkeiten nicht sinnvoll einsetzen kann. Auch das war, nachdem ich zu EduVentures gewechselt bin, nicht mehr der Fall. Ich hab auch befürchtet, dass ein Jahr zu lange sein wird. Zwischendrin hatte ich zwar schon das Gefühl, dass es sich hin zieht, aber das Gefühl ist auch spätestens seit des Zwischenseminars wieder weg. Ich finde, die Zeitdauer war mit 10,5 Monaten genau richtig.

Was ich bewirkt habe

Ich hab den Freiwilligendienst eigentlich immer als Lernprogramm für mich gesehen. Ich glaube, hier hab ich nicht wirklich etwas bewirkt. Zumindest nicht direkt. Indirekt hoffe ich, dass nun vielleicht einige wenige Menschen ein anderes Bild von Weißen Personen haben. Nach fast einem Jahr hier kann ich aber auch gut verstehen, wenn Schwarze Menschen kein gutes Bild von Weißen haben.

Was ich jetzt sehr zu schätzen weiß

Allgemein wurde mir bewusst, wie privilegiert wir in Deutschland in fast allen Bereichen des Lebens sind. Gerade durch meine erste Einsatzstelle wurde mir vor allem bewusst, was es für ein Privileg ist, mobil zu sein und wenn es nur der Besitz eines Fahrrads ist. Worauf ich mich schon wieder freue, ist es, in Deutschland in der Gesellschaft auch mal wieder untertauchen zu können und nicht immer aufzufallen (z. B. durch die Hautfarbe und dadurch, dass man aus dem Raster fällt). Und was ich nun auch zu schätzen weiß, ist, dass zumindest ich als weißer Mann selten Angst haben muss auf der Straße oder in der Öffentlichkeit, oder wenn man Nachts alleine nach Hause gehen will.

Meine kleinen Take-Aways

Eine ganz klare Sache, die ich aus Namibia mit nach Hause nehme, ist die Musik des Landes: Amapiano/Afrobeats. Ich hatte gar nicht damit gerechnet, dass es auf dieser Welt noch Musikrichtungen geben könnte, die mir noch nie begegnet sind, die mir aber trotzdem richtig gut gefallen!

Ich glaube, nie zuvor hab ich mir so viele Gedanken über unsere Gesellschaft, politische und wirtschaftliche Fragen und die Zukunft der Menschheit gemacht. Ich war zwar auch zu Hause an solchen Theme interessiert und politisch und aktivistisch aktiv, allerdings hatte ich davor noch nie so viel Zeit und Freiräume, mich frei zu Themen, die mich gerade interessieren, zu informieren. Schon allein deswegen war das eine unheimlich wertvolle Zeit für mich. In dem Zuge fand ich es z. B. äußerst spannend, aber auch schockierend, zu sehen, was es für eine Gesellschaft bedeutet, wenn "die Schere zwischen arm und reich auseinander geht" und wenn verschiedene Bevölkerungsgruppen mehr oder weniger in Parallelgesellschaften nebeneinander leben. Tendenzen in der Richtung kann man ja auch in Deutschland beobachten. Hier in Namibia kommen natürlich noch die Überbleibsel aus der schrecklichen Zeit der Apartheit dazu.

Natürlich hab ich auch einige Hard-Facts über die Geschichte Namibias gelernt, einem Land, von dem ich zuvor höchstens den Namen kannte.

Ich nehme auch mit, dass ich eigentlich in Deutschland ganz zufrieden bin. Es ist hier zwar nicht alles "ganz anders" oder "schlimm", aber mir wurde in der Zeit hier bewusst, wie privilegiert wir sind. Ich fand es eine sehr traurige Erfahrung, zu sehen, dass die meisten Menschen hier, egal wie sehr sie sich anstrengen, niemals die gleichen Chancen haben werden, die wir einfach nur dadurch haben, dass wir in Deutschland geboren wurden.

Ich glaube, ich nehme auch die Erkenntnis mit, dass die Welt komplex ist und selten eine Einteilung in gut und böse funktioniert. Ich hoffe, dass ich zukünftig einen diverseren Blick auf die Welt habe.


Noch bin ich hier in Namibia. Ich glaube, viel wird mir erst klar, wenn ich wieder in Deutschland zurück bin und über das Jahr reflektiere und die Unterschiede direkt sehe. Jetzt in den letzten Zügen des Freiwilligendienstes bin ich sehr positiv gestimmt. Ich bin froh, mich damals dafür entschieden zu haben, dieses Jahr zu machen. Ich bin dankbar für alle Erfahrungen, die ich machen konnte und bin auch sehr froh darüber, in einem Land zu wohnen, dass solche Programme anbietet.


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